Maximilian Haja: Artefakt

30. Juli – 19. August 2021

Maximilian Haja - Artefakt

Maximilian Haja, Artefakt, 2021, Anzug aus Jacquard Gewebe, Digitalprint auf Papier, Foto: Maximilian Haja

Ein Blick aus der Zukunft auf die Gegenwart, das Hier und Jetzt, betrachtet aus zeitlicher Distanz. Ein Anzug liegt wie die Hülle eines menschlichen Körpers auf dem Boden, um ihn herum sind laserbedruckte Papierbahnen ausgebreitet, ein tiefblauer, nicht näher definierter Raum umfängt die Szene wie ein Bühnenbild. Ein Tat-Ort, der wenig Aufschluss darüber gibt, was hier getan wurde. Und von wem? Und wozu?

Maximilian Haja inszeniert Fragen kommender Generationen an unsere Gegenwart. Denn feststeht: Anthropologen künftiger Jahrhunderte werden es nicht leicht haben mit uns! Wie werden sie uns ein-ordnen und aus-werten, wenn die Grundlage ihrer Betrachtungen, die Basis ihrer Daten, ein fiktives Konstrukt ist? Wie aussagekräftig sind die Bilder, die von unserer Existenz zeugen, nachdem Filter und Bearbeitungsprogramme ihr Werk getan haben? Und wer verbirgt sich hinter den Kommentaren, die wir in die digitale Welt posten, nicht als Person, sondern als erfundenes Profil? Als Klon, der nach Aufmerksamkeit schreit, ohne etwas zu sagen.

In seiner künstlerischen Arbeit untersucht Maximilian Haja die Schnittstellen zwischen Mensch und Technik sowie die damit verbundenen, nicht immer eindeutigen Zwischenräume. Im Zentrum stehen dabei die gleichermaßen komplexen wie absurden Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und Depersonalisierung. Der Anzug, dessen Kragen so hoch ist, dass er die menschliche Figur beinahe verschluckt, wird zur Metapher für die inhaltsleere Hülle, die wir im Netz hinterlassen. Nicht zufällig wählt Haja dafür ein Jacquard Gewebe als Material. Der im frühen 19. Jahrhundert von Joseph-Marie Jacquard entwickelte mechanische Webstuhl war die erste Maschine, die mit Lochkarten gesteuert wurde. Seine auf diesem binären System basierende Programmierung machte ihn zum Vorbild späterer Computertechnologie. Mit der Linienführung im Design und den verwendeten Farben greift Haja darüber hinaus die Ästhetik von blue und green screens auf, die unsere medialen Sehgewohnheiten bestimmen. Er überträgt sie in schwarz-weiß, verzerrt die Linien bis aufs Äußerste und entstellt Konturen, Physiognomien, Gegenstände. So entstehen schwindelerregende, vibrierende, ausufernde Bilder, ohne verbindliche Begrenzung und ohne Halt.

Maximilian Haja entwirft Arbeiten, die – maximal manipuliert und künstlich – den Realitätsgehalt von Bildern grundsätzlich in Frage stellen und folgerichtig auch den darüber vermittelten Informationswert. Subjektiv motivierte Messages und Codes, die auf social media, in Foren, Newsgroups und Chatrooms verbreitet und ebenso subjektiv konsumiert werden, verweigern sich jeder verbindlichen Skala, jedem Richtwert. Wer mit verschiedenen Profilen postet vervielfältigt sich selbst, erschafft multiple Facetten seines Ichs, die sich verselbständigen und sich über kurz oder lang der Kontrolle entziehen. Diese Formen unseres Selbst werden in der Gegenwart digital etabliert und bleiben für die Zukunft bestehen, auch wenn sie ihre vermeintliche Gültigkeit längst eingebüßt haben – als Artefakte, ganz ohne uns.

Anuschka Koos

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