Julia Walk: Sugar Bois

14. – 29. Juli 2021

Julia Walk - Sugar Bois

Julia Walk, Sugar Bois, 2021, Fotodrucke, Digitaldruck auf Aludibond, Video, Foto: Ava Ella Kalff

Ihren Kaffee trinkt sie schwarz, ohne Zucker. Ihre Kunst strotzt vor Farbe – und vor Zucker! Farbströme ergießen sich in einem ausgeklügelten Farbkonzept über drei junge Männerkörper, fließen von den Schultern übers Brusthaar bis zum Schritt, tropfen zähflüssig vom Ellenbogen und bilden kleine Pfützen. Die Drei sitzen und stehen auf kreisförmigen Podesten, der Raum ist in kräftigen Blautönen gestrichen, an der Rückwand ein Videoscreen mit Szenen aus dem vorausgehenden Shooting, seitlich Drucke mit Detailaufnahmen. Es ist ein Gemisch aus Lebensmittelfarbe und Puderzucker, mit dem Julia Walk die Körper überzieht, klebrig, pappsüß und knallbunt!

Mit ihrer ersten Live-Performance entwickelt Julia Walk, die bei Peter Kogler an der Akademie der Bildenden Künste München studiert, Ideen ihrer Serie Sugar, Sugar weiter, deren Gegenstand ihr eigener Körper ist: weiblich, präsent, dick. Bonbonfarbene Zuckermassen überziehen ihre Haut, verfangen sich in den Fettfalten und fließen gemächlich über Füße, Bauch und Busen. Julia Walk macht Zucker dabei nicht zum Sündenbock für Karies und Gewichtszunahme, sondern schätzt ihn vorurteilsfrei als künstlerisches Material, das dem Körper Glanz verleiht und mit satten, lauten Farben die Aufmerksamkeit auf sich zieht. In enger Zusammenarbeit mit Fotografin Ava Ella Kalff lässt sie sich in unterschiedlichen Posen ablichten und filmen, bearbeitet das Bildmaterial, vergrößert, wählt den starkfarbigsten Hintergrund, den besten Ausschnitt und gelangt so zu hochästhetischen und – trotz all der prallen Körperlichkeit – oft beinahe abstrakten Ergebnissen.

Verblüffend spielerisch gelingt Julia Walk nun mit Sugar Bois ein entscheidender Rollenwechsel: weg von der Künstlerin, die sich selbst als weibliches Objekt inszeniert, hin zur Choreografin männlicher Figuren. Damit verbunden: die Veränderung des Blicks, das Herantasten und Verhandeln des »Male Gaze«. Dessen Dominanz wird brüchig, wenn eine Frau drei Männerkörper inszeniert, sich Machtverhältnisse während der Performance verschieben und Spannungen zwischen Subjekt und Objekt spürbar werden.

»There are whole genres of art and photography that just focus on the female body, the female form. But no real equivalent for men. And this is because of the Male Gaze. We are not taught to view men’s bodies as sexy or sexual but women’s bodies are always taught to be sexy and sexual.«

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Ihre Cis-Männer vom Typus weiß, schlank, mittelgroß sind nackt bis auf die Badehose, scrollen gelangweilt auf dem Handy oder hören über AirPods Musik. Ihre abwartenden Haltungen entsprechen keinem Kanon, ähneln weder einem idealtypischen Bildnis vergangener Zeiten noch heutigen androgynen Models oder hyper-trainierten Bodybuildern. Bei den Dreien handelt es sich um Akademiestudenten, die im Shooting wie in der Performance mit farbiger Zuckermasse übergossen und danach als lebensgroße Aufsteller im Schaufenster der Ladengalerie präsentiert werden. Doch bei aller lautschreienden Farbigkeit bleiben die Figuren still, ein bisschen verloren sehen sie aus, ein bisschen unsicher wirkt ihr Blick. Aber wie soll man auch anders schauen, wenn man gerade Mitte zwanzig ist und gar nicht mehr weiß, was Männlichkeit heute bedeutet? Die Bandbreite ist groß, ebenso wie die gesellschaftlichen (Vor-)Urteile: Ist der zeitgemäße Mann in Elternzeit oder karrieregeil, Softie oder Alpha-Tier, Frauenversteher oder rücksichtsloser Egoist, homo, hetero, queer?

Wenn Julia Walk in ihrer Arbeit hinterfragt, ob eine unproblematische Aneignung fremder Körper überhaupt möglich ist, dann handelt es sich um die Frage einer durch die magersüchtigen Schönheitsideale der Nullerjahre geprägten jungen Frau, deren Körper nie in Größe 32 passen wollte. Die Auseinandersetzung mit Feminismus und Genderforschung lässt sie zunächst die eigene Physis zum Thema ihrer Arbeit machen. Ihre Vorbilder – die, die nicht der Norm entsprechen – findet sie auf Instagram und TikTok. Die richtigen Algorithmen vorausgesetzt, können Social Media bei der Suche nach dem eigenen Selbstverständnis eine Orientierung bieten, die weitaus diverser ist als das uniforme Diktat der Mode- und Filmindustrie. Ihre persönlichen, widersprüchlichen Erfahrungen mit dem eigenen Körper und Geschlecht bringt Julia Walk mit großer Offenheit und Sensibilität nun ihren Sugar Bois entgegen und inszeniert in zuckersüßem Farbenrausch ein subtiles Bild männlicher Fragilität.

Anuschka Koos

Partner